Rajasthan - Nordindien
Bikaner
Der erste Ausflug des Tages führt uns zum weltweit einzigen Tempel, an dem Ratten verehrt werden. Ratten werden auch in Indien als Plage empfunden und bekämpft. Einzig in diesem Tempel werden die Tiere verehrt und versorgt. Grundlage dafür ist eine Geschichte aus der hinduistischen Götterwelt. Wie in allen Tempeln werden auch hier die Schuhe ausgezogen, wer möchte, erhält leichte Überzieher aus Jute für die Füße. Diese schützen sowohl vor verstreutem Futter als auch vor den Ratten selbst und deren Hinterlassenschaften. Eva verzichtet auf den Tempelbesuch und Bernd stellt fest, dass die Tiere ungepflegt und zerzaust sind. Vielleicht führt der Wohlstand dieses Rattenvolkes auch zu dessen Verfall. Zurück in Bikaner besuchen wir eine kleine Schule für Miniaturmaler. Der Meister hat mit der Darstellung eines Miniaturlebensbaums mit tausenden von Blättern einen Eintrag ins Guinessbuch der Rekorde geschafft. Nun ist es Zeit, das Junagarh-Fort im Zentrum der Stadt Bikaner zu besichtigen. Damit tauchen wir ein in die Bewunderung der Architektur und Kunst der Prachtbauten aus der Moghulzeit im 16 Jahrhundert. Mächtige hohe Mauern umschließen die Innenhöfe und Palastgebäude. Wir erhalten Audioguides und lassen uns mit Erklärungen in deutscher Sprache durch die verschlungenen Wege des Palastes führen. Der Eingangshof und Aufgang zum Palast aus rotem Sandstein unterstreicht den Festungscharakter. Die Palastgebäude sind aus gelbem Sandstein und Marmor gebaut. Die kunstvoll gearbeiteten Fassaden, Balkone und ornamentierten Fensterdurchbrüche zeugen von historischer Pracht und Reichtum genauso wie von handwerklicher Präzisionsarbeit der Steinmetze. Gegen Mittag verlassen wir die Festung und verweilen im schattigen Garten des Restaurants Gallops. Der Kaffee schmeckt hier richtig gut. Wir entscheiden uns, durch die Altstadt zum Jaintempel Bhandasar zu laufen. Nach wenigen Schritten sind wir "umzingelt" von Tuktuk-Fahrern, die uns ihre Dienste wortreich anbieten. Wir sind überstimmt, nehmen ein Angebot an und erleben unser Highlight des Tages. Die Fahrt durch die engen belebten, verkehrsreichen Straßen im Gewirr der Altstadt erfordert meisterliches Können unseres gut gelaunten und gesprächigen Fahrers. Am Tempel angekommen begleitet er uns hinein, führt uns durch die Anlage und weist uns mit wenigen englischen Worten stolz auf Ausblicke auf "seine" Stadt hin. Nach dem Tempelbesuch fährt er uns zu den aufwendig restaurierten Havelies der Stadt. Diese sind nicht mit Malereien verziert sondern wie die Festung mit prachtvollen Steinornamenten. Zurück im Hotel bedanken wir uns mit einem reichlichen Trinkgeld, das dankbar angenommen wird. Zum Abschied wird die Hand gereicht, dann folgt das gegenseitige Verbeugen - Namaste, auf Wiedersehen. Für die verbleibenden Nachmittagsstunden gönnen wir uns etwas Ruhe im Hotel und bleiben auch zum Abendessen.
Jaisalmer
Wir fahren am Rande der Tharwüste entlang nach Kolayat, einem hinduistischen Wallfahrtsort an einem kleinen See. Eine Gruppe von Frauen nimmt angekleidet Platz auf den vom Wasser umspülten Treppenstufen, den sogenannten Ghats. Jede hat ein Krüglein zur Hand mit dem sie sich gegenseitig mit Wasser begießen. Die Frauen haben sichtbar Spaß an der Abkühlung. Zum Abschluss des Bades wird in graziösen Gesten das Wasser gesegnet. Bei der Weiterfahrt ins 300 km entfernte Jaiselmer passieren wir wenige kleinere Ortschaften, die Landschaft zeigt ockerfarbenen Sand und karge Bewachsung von blass grünen Gräsern und Dornengestrüpp. Eine Kamelherde überquert die Straße. Endlich zeigen sich am späten Nachmittag erste Zeugen der Zivilisation. Wir sehen Windräder eines modernen Windparks und Militäranlagen, immerhin befinden wir uns etwa 80 km entfernt von der Grenze zu Pakistan. Bei Sonnenuntergang treffen wir in unserem zentral gelegenen Hotel Mandir Palace ein. Vom Dach des Hotels blickt man auf Festungsmauern, die den Palast und die Altstadt umgeben. Der gelbe Sandstein erstrahlt in der Abendsonne. Zum Abendessen trifft sich die Gruppe im Dachrestaurant eines nahen Havelis. Die Sonne versinkt glutrot im Wüstenmeer. Es ist schwierig, bei Kerzenlicht sie Speisekarte zu lesen- eine kleine Taschenlampe wäre sehr nützlich. Die Getränkekarte bietet Bhang- oder Special lassi an, eine Joghurtgetränk mit getrockneten Cannabisblätter oder -blüten, wir bleiben lieber beim Bier. Der folgende Tag gibt ausreichend Zeit für die Stadt. Wir laufen durch die belebte Hauptstraße zur Festung. Dabei sind wir stets darauf bedacht, dem Schmutz auszuweichen. Hinter der Stadtmauer in der Altstadt entdecken wir den Charme des Ortes. Die engen Gassen, kleine Restaurants und Tempel laden zum Bummeln ein. Die Altstadt ist auf Touristen vorbereitet. Man muss sich der stetigen Verkaufsanimation regelrecht erwehren, die Szene erinnert uns eher an einen türkischen Basar als an ein Märchen aus tausend und einer Nacht, was der Beiname von Jaiselmer ist. Wenn man aber die kunstvolle Architektur und Farbenpracht der Altstadt sieht, die Gerüche der Gewürze wahrnimmt und die Miniaturmaler oder die Frauen in ihren bunten glitzernden Saris mit ihren graziösen Bewegungen beobachtet, dann entspricht der Beiname dem Blick des Betrachters. Als wir die Altstadt verlassen wollen fällt uns eine kleine Seiltänzerin auf, die hoch konzentriert mit unendlich traurigen Augen ihre Kunst auf dem gespannten Seil vorführt. Obwohl dieser Moment sehr bedrückend ist geben wir ihrem Begleiter einen Obolus für die Darbietung- vielleicht hilft ihr das ja. Dann verlassen wir die Festungsmauern und bummeln weiter durch die Stadt. Auch in Jaiselmer finden wir prächtige Havelis, die wir uns im vorbeigehen anschauen. In den engen Gassen verlieren wir die Orientierung für einem Moment, finden aber bald wieder zurück ins Hotel.
Jodhpur
Auf dem Weg nach Jodhpur wird Sandstein in riesigen Steinbrüchen abgebaut. Überladene Lastwagen blockieren die schmale, schlechte Straße und fordern höchste Aufmerksamkeit aller Fahrer. Die Strecke ist eine Herausforderung für jede Bandscheibe im Bus. Die Luft ist voll von Staub und es ist höllisch laut. Nach dem Passieren der Baustellen sind wir in Mandore. Wir spazieren durch Mandore Gardens, eine vernachlässigte Parkanlage mit monumentalen Chhatris und einer Reihe von Statuen hinduistischer Götter. Neben den Besuchern beleben zahlreiche Affen den Park. Sie untersuchen den Verpackungsmüll nach Eßbarem. Am frühen Abend erreichen wir die Millionenstadt Jodhpur. In der Ferne sehen wir den neuen prächtigen Palast der Stadt. Im Vordergrund, auf spärlich bewachsenem, trockenen Wüstenboden leben Menschen in selbst errichteten Zelten aus Plastik und Pappe. Wir übernachten etwas außerhalb der Stadt im Hotel Shree Ram International, einem modernen Haus mit schönem Garten und Swimmingpool. Am nächsten Morgen beginnen wir unseren Ausflug in Jodhpur in der Nähe der Festung. In einem Park liegen idyllisch an einem Grundwassersee die Beisetzungsstätten der Herrscherfamilie Sing von 1899 bis in die heutige Zeit. Die Luft ist erfrischend kühl und wir genießen den Spaziergang durch die Anlage Jaswant Thada mit weißen Marmortempeln in absoluter Ruhe und Sauberkeit. Die Anhöhe bietet grandiose Ausblicke auf die Stadt und die gegenüberliegende, steil aufragende Festung Meherangar. Sie ist auf einem Felsen gebaut. Das gesamte Areal wird von der alten Stadtmauer mit ihren Wehranlagen begrenzt, die sehr gut erhalten oder restauriert ist. Die Festung wurde um 1500 vom Rajputenoberhaupt Rao Jodha gegründet, der Name der Stadt Jodphur ist abgeleitet davon. Der Aufgang zur Festung führt steil durch schattige Gassen zu einem riesigen Tor, das nach außen mit spitzen Eisenbeschlägen besetzt ist und einst feindliche Reiter auf Elefanten abwehren sollte. Der Rundgang durch die Festung ist kurzweilig und bietet immer wieder grandiose Ausblicke auf die blauen Fassaden der Häuser. In der Geschichte war die Farbe Blau der Kaste der Bramahnen, den Priestern, zugeordnet. Heute glaubt man, dass die blaue Farbe Moskitos abwehrt. Wir verlassen die Festung und laufen einen steilen, befestigten Weg hinunter zur Stadt. Nun sind wir wieder in Indien, der Lärm der Straße und der Staub in der Luft hüllen uns ein und jeder Schritt muss sorgsam gesetzt sein, um allem Verkehr, den Tieren und deren Hinterlassenschaften auszuweichen. Im populären Gewürzladen Mohanlal Verhomal präsentiert eine junge Frau die verschiedenen Tees und Curries. Wir sind fast berauscht von den guten Gerüchen und es wird reichlich eingekauft. Wir laufen weiter zum Clock Tower im Zentrum der Stadt. Das weite Rondell ist ein riesiger Marktplatz. Alles was das einheimische Herz begehrt wird hier im Überfluss angeboten. Bunte Auslagen von Saris, Stoffen, Töpfereien, Lederwaren, Schmuck oder Gemüse - alles will Abnehmer finden. Bald entfliehen wir dem lauten Basartreiben und nehmen ein Tuktuk zum Hotel. Siesta ist angesagt. Am Abend fahren wir zurück in die Stadt zum Restaurant Kalinga, das für sehr gute lokale Küche bekannt ist. Wir sind positiv überrascht, die Atmosphäre im Kalinga ist einladend und sauber, die Speisen munden vorzüglich.
Ranakpur - Udaipur
Wir starten die lange Fahrt von Jodphur nach Udaipur. Zur Vorbereitung auf den Besuch des Jaintempels von Ranakpur hören wir im Bus die Geschichte von den zeitgleichen Wurzeln des Buddhismus und des Jainismus in Indien. Jainas streben nach der spirituellen Reinheit der Seele. Oberstes Gebot ist die Gewaltlosigkeit gegenüber Menschen, Tieren und sogar Pflanzen. Sie leben spartanisch bis zur Askese und sind strenge Vegetarier. Ein weiterer Grundsatz ist die Abkehr von jeglichem Materialismus, das heißt, der weitgehende Verzicht auf persönlichen Besitz. Der hierzulande bekannteste Anhänger des Jainismus ist der amtierende Co-Chef der Deutschen Bank, Anshu Jain. Die Vereinbarung des Glaubens und seiner Stellung schafft er wahrscheinlich nur mit der Botschaft der Jainas: Leben und Leben lassen. Was immer man tut, man muss dabei gut sein und den anderen dienen. Die vorbeiziehende Landschaft ändert sich langsam, wir verlassen die karge Wüste und kommen ins Tal des Aravalligebirges. Die Straße führt an einem mehr oder weniger ausgetrocknetem Flussbett entlang. Alte, kräftige Bäume mit weiten Kronen aus dunkelgrünem Laub prägen die Landschaft genauso wie die kleinen bewirtschafteten Felder von Hirse, Gerste, Hafer und Weizen. Gegen Mittag erreichen wir den vielleicht schönsten und bedeutensten Jaintempel von Indien. Vormittags ist die Anlage nur für praktizierenden Jainisten zugänglich, für Besucher ist der Zutritt erst ab 12:00 Uhr erlaubt. Am Parkplatz erwartet uns eine Gruppe Hanuman-Languren, die zunächst noch neugierig in ihrem Kletterbaum verharren. Der Haupttempel der Anlage aus unzähligen Säulengängen und Kuppeldächern ist kunstvoll aus weißem Marmor gebaut und reich verziert. Im Inneren des Tempels sind zahlreiche Tirthankara-Statuen im Dunkel verschlossener Gebetsnischen platziert. Tirthankara (Furtbereiter) sind die geistigen Führer des Jainismus. Sie sehen sich als Mittler zwischen der realen und der spirituellen Welt. Wir können nicht tief genug in diese Glaubensrichtung eindringen, deshalb bleibt uns nur, das prächtige Kunsthandwerk der Bauten zu bewundern. Zurück am Bus haben die Languren ihre Scheu abgelegt. Wir füttern Nüsse, Kekse und Bananen und sind gleichzeitig auf der Hut vor den blitzschnellen Reaktionen der Affen. Kein Äffchen gönnt dem anderen sein Futter, nur das Alphamännchen lassen alle zufrieden. Nach dem Tempelbesuch quält sich der Bus die Serpentinen der Hügelkette des Aervelligebirges auf 850m hinauf und wieder hinab, dann sind wir in Udaipur. Die Stadt schmiegt sich idyllisch um die Ufer des Pichola Sees. Wir laufen zum Hotel Sarovar, eine sehr einfache Unterkunft aber immerhin mit Seeblick. Wir schauen auf eine Brücke und die gegenüberliegende Altstadt. Die Abendsonne versteckt das Marode der Gebäude in warmem versöhnlichen Licht. Ein weißer Palast auf einer Insel inmitten des Sees zieht die Blicke an. Das Hotel war einst Drehort für die Filme "Der Tiger von Eschnapur" und des James-Bond-Filmes "Octopussy". Die Szenerie hat mediterranes Flair. Zum Abendessen gehen wir in ein modernes Gartenrestaurant am See. Das Ambiente lädt zum Verweilen ein aber es sind ausschließlich Touristen, die bei dem gehobenen Preisniveau hier Platz nehmen.Am nächsten Tag werden wir durch rhythmisches, lautes Klopfen geweckt. Am Seeufer gegenüber haben sich mehrere Frauen auf den Treppen am Wasser niedergelassen. Sie waschen Wäsche, indem sie die eingeseiften Wäschestücke auf die Steine schlagen und mit einem rudergleichen Holzprügel darauf rumklopfen. Nach dem Frühstück laufen wir über die Fußgängerbrücke in die Altstadt. Auf der Brücke haben sich Hilfsbedürftige niedergelassen und hoffen auf ein paar Rupien. Eine Mutter mit zwei kleinen Kindern säubert einen Säugling, der nackt auf einem schmutzigen Handtuch liegt, alle sehen verwahrlost aus. Im Abstand zu ihr bettelt ein alter, weiß gekleideter Mann mit Krücken, man sieht Wunden an seinen Beinen. Und die Reihe setzt sich fort bis zum Ende der Brücke. Der Aufgang zum Palast auf der Hauptstraße bietet das nun schon gewohnte Bild an indischem Chaos. Am Stadtpalast wartet eine Schulklasse und zahlreiche Touristen auf Eintritt, der ab 10:00 Uhr erheblich ermäßigt wird. Es wird viel fotografiert. Wir sind bei den Indern ebenso begehrte Motive wie Sie für uns. Insbesondere die Kinder werden gerne fotografiert. Was diese wohl denken, wenn mehrere Objektive stattlicher Größe nah auf sie gerichtet sind? Der Stadtpalast ist auf einer Anhöhe über der Stadt erbaut. Er dominiert das Stadtbild. Ein großer, gepflegter Innenhof mit Wasserspielen, kleinen Souvenirgeschäften und einem Kaffee-Restaurant führt zum Eingangstor des Palastes. Wir sind relativ schnell fertig mit unserem Rundgang, die wiederholte Pracht der Paläste ist nicht mehr so spannend wie beim ersten Anblick. Am Nachmittag besuchen wir einen Kochkurs in Sushma's Cooking Classes. Gemeinsam mit einem jungen Engländer und einem irischen Paar lernen wir die Zubereitung typisch indischer Speisen und die Handhabung der Gewürze. Zusammen mit der charmanten Lehrerin Sushma bereiten wir in ihrer Lehrküche im Hotel Krishna Niwas mehrere vegetarischen Speisen zu, die am Abend gemeinsam verzehrt werden. Wir sind total überzeugt, dass uns das nun auch zu Hause gelingen wird.
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