"Es gab bislang keinen bedeutenden Mann, der sein ganzes Leben auf dem Festland verbrachte."
(Herman Melville)































1. Kaliningrad (Königsberg) - Riga

Kaliningrad (Königsberg) - Baltiysk (Pillau) - Klaipeda (Memel)

Montag 30.Mai 2016. Nach dem Frühstück fahren wir mit dem Taxi zurück zur Marina. Bernd spritzt noch oberflächlich den Kohlestaub von der Impuls, dann legen wir ab. Unterwegs werden wir vom Ufer aus als "Schweine" beschimpft, als man unsere deutsche Flagge wahrnimmt. Wir legen 12:45 am Immigration & Custom Point an. Der Zollbeamte ist noch zu Tisch, also müssen wir warten. Nach einer dreiviertel Stunde kommen die Beamten. Noch zwei Crewlisten werden verlangt (damit haben sie jetzt 5 Ausfertigungen, was machen die bloß damit?), und wieder muss Bernd ein Formular ausfüllen. Nach den Formalitäten wird der Zollbeamte gesprächig. Wir erfahren, das Deutsche momentan nicht beliebt sind. Schuld sei Merkels Russlandpolitik (die Russen hatten die Deutsche Einheit ermöglicht und jetzt: respektlose Putin Kritik, NATO Osterweiterung, Handelsembargo - Undankbarkeit). Die russischen Medien können daran nicht schuldlos sein, denken wir. Auch Merkels Asylpolitik gegenüber Arabern sieht er als großen Fehler, sie sei nicht gut für die Menschen in Deutschland. Wir widersprechen nicht. 13:45 können wir ablegen, die Beamten verabschieden uns lächelnd und winken. Wir melden uns noch auf VHF 74 bei Baltiysk Traffic ab, Doswidanja Rossiya. Wir segeln entlang der russischen Küste etwa 4 Stunden zum Kap Taran. Hinter dem Kap steht der Wind nicht so günstig, als motoren wir drei Stunden mit Kurs 070° gegen den Wind. 21:04 ist Sonnenuntergang. Es wird Evas erste Nachtfahrt und der Wind soll in Böen auf 7 Bft gehen. Wir binden das 2. Reff in das Großsegel und fahren hart am Wind Richtung Klaipeda. Hinter uns zieht ein Gewitter auf, Blitze und Wetterleuchten erhellen die Nacht, keine idealen Bedingungen. Die erste Wache übernimmt Eva. Wir segeln auf eine hell beleuchtete Offshore Plattform zu. Bald wird an Steuerbord auch das Leuchtfeuer von Nida sichtbar. Außer uns ist niemand hier unterwegs. Nach einer Stunde wird der Wind stärker und nach einer Sturmböe wird Bernd geweckt. Wir reffen nochmals das Vorsegel. Mitternacht ist Wachablösung. Der Wind dreht auf NE und wird schwächer. Das Vorsegel wird wieder rausgelassen aber wir kommen nur langsam voran. Ab 03:00 bringt die Morgendämmerung erstes Tageslicht. Wir kreuzen in den Tag bis wir 6 sm vor dem Ziel das Segeln aufgeben und unter Motor nach Klaipeda fahren. Nach der Einfahrt werden wir schon von der Border Control erwartet, die uns zum Kastellhafen schickt. Die Drehbrücke vor dem Hafen öffnet nur jede volle Stunde, deshalb legen vorerst am Ufer der Dane (Dange) an. Ein Beamter der Border Control kommt zur Passkontrolle an Bord, alles sehr freundlich. Nach 25,5 Stunden Fahrzeit holen wir im Kastellhafen etwas Schlaf nach. Am Abend trinken wir mit Matthias & Anke von der "Land in Sicht" noch eine Flasche Wein auf der Impuls, sie starten morgen Richtung St. Petersburg.

Klaipeda (Memel)

Die Stadt Klaipeda, das ehemalige Memel, wurde 1252 gegründet, als der Livländische Orden die Memelburg baute. Gelegen an der Mündung des Kurischen Haffs in die Ostsee ist sie heute die drittgrößte Stadt Litauens und Tourismus- und Handelszentrum. Im alten Kastellhafen liegen wir vor dem Old Mill Hotel und können dessen WiFi nutzen. Am Wochenende findet hier das XXII Kleipedia Castle Jazz Festival statt und wir beschließen, bis Montag zu bleiben. Wenige Schritte aus der Marina heraus gelangen wir in die Altstadt auf den Theaterplatz mit restauriertem Schauspielhaus, in dem schon Richard Wagner dirigierte. Vor dem Theater ein Brunnen mit der Skulptur des "Ännchen von Tharau", darum herum Verkaufsstände mit Souvenirs aus Bernstein. An der Uferpromenade der Dane liegt das restaurierte Segelschiff "Meridianas" fest. 1948 in Finnland gebaut dient es heute als Restaurant.
Pech für Eva: beim Wäscheaufhängen stürzt sie und bricht sich den Mittelfinger der rechten Hand. Im Krankenhaus wird der Finger auf einer Gipsschiene ruhig gestellt. Das Handicap ist groß, die Heilung braucht viel Zeit. Am Freitag nehmen wir für unseren Ausflug nach Nida (Nidden) die Schnellfähre. Es ist fast windstill als wir durch das Haff fahren. Das Ufer ist bewaldet, später zeigt sich auf den Dünen nur spärlich Vegetation. Nida ist ein kleiner Ort, der sich heute auf Fremdenverkehr ausgerichtet hat. Früher zog die eindrucksvolle Dünenlandschaft die unweit der Kunstakademie Königsberg lag, viele Maler (Pechstein, Schmidt-Rottluff) und Literaten an. Es entstand die Künstlerkolonie Nidden. Thomas Mann kaufte sich 1929, nach Erhalt des Nobelpreises, hier ein Haus, was die Einheimischen ironisch "Onkel Toms Hütte" nannten. Wir laufen am Haff entlang nach Norden. Unzählige tote Maikäfer liegen am Ufer, auch toter Fisch - es müffelt ein wenig. Eine Treppe führt uns hinauf zum Thomas Mann Haus, ein sehr schönes Anwesen, das heute Museum ist. Wir laufen über die Hauptstraße zurück und schauen noch auf dem Friedhof mit den Kurenkreuzen vorbei. Dann geht es mit dem Bus auch schon wieder zurück nach Klaipeda. Heute ist Festivaleröffnung, die wollen wir nicht verpassen.
Am letzten Tag in Klaipeda laufen wir in der Altstadt. Hier findet man hübsche Kleinskulpturen, wie den "Schornsteinfeger", den "Kater mit dem Gentlemangesicht" und das "Wundermäuschen", dem man Wünsche ins Ohr flüstern kann, die sich erfüllen sollen. Eva vertraut dem Mäuschen einen Wunsch an. Weiter geht es über den Fluss Dane zum Denkmal "Arka" (Bogen), durch den Park am Dane Ufer, vorbei an der Universität zum Skulpturenpark und zurück über die Lindenstraße mit der alten Post.

Litauen war im Mittelalter ein Großfürstentum, ab 1569 als polnisch-litauische Union. 1795 kam Litauen unter russische Oberhoheit, 1918 erklärte es als Republik seine Unabhängigkeit, wurde aber von Sowjetrussland okkupiert. 1990 erklärte es erneut seine Unabhängigkeit, die von der sowjetischen Regierung für verfassungswidrig erklärt wurde. In der Nacht zum 13. Januar ließ Gorbatschow eine Panzerkolonne ins Zentrum von Vilnius einrücken (Vilniusser Blutsonntag). Der Militär-Putsch scheiterte. Erst im August 1991, im Zuge des globalen Zerfalls der Sowjetunion, wurde die Eigenständigkeit der baltischen Staaten auch von Moskau akzeptiert. 2004 wurde Litauen Mitglied der EU und der Nato. Seit 2015 ist das Land Mitglied der Eurozone.

Klaipeda (Memel) - Liepaja (Libau)

Dienstag 7. Juni. Mit der ersten Öffnung der Drehbrücke um 8:00 fahren wir raus. Unser ursprüngliches Ziel Sventoji können wir nicht anlaufen, der Hafen wird aktuell ausgebaut und ist nicht zugänglich. Vormittags müssen wir wegen Flaute motoren. Gegen Mittag dreht der Wind auf West und frischt etwas auf. Jetzt können wir zusätzlich zum Motor noch das Vorsegel setzen. Bei wolkenlosem Himmel fahren wir über die Litauisch Lettische Grenze. Der Schutzwall um die Hafeneinfahrt von Liepaja ist riesig langgezogen. Von weitem leuchten die goldenen Kuppeln einer Orthodoxen Kathedrale. Wir fahren an einem Verladehafen für Holz, dem Fischereihafen und dem verrosteten Leuchtturm vorbei. Das "Yacht Center" liegt im Handelskanal, der den Liepaja See mit der Ostsee verbindet, direkt vorm Hotel PROMENADE. Wir schauen uns in der Abendsonne noch die Altstadt an und finden, auf Empfehlung des Hafenmeisters, nahe der Dreifaltigkeits-Kathedrale ein gutes mexikanisches Lokal zum Abendessen.
Am nächsten Tag führt uns der Stadtspaziergang zur neuerbauten, bernsteinfarbenen Konzerthalle "Großer Bernstein", durch Straßen mit historische Holzbebauung, vorbei an der Universität zum Petermarkt mit seiner 1910 erbauten Markthalle, gelegen zwischen der St. Annen Kirche und St. Joseph Kathedrale.
Im Gegensatz zu Klaipeda wirkt die Stadt problembehaftet, zufriedene Menschen sehen anders aus. Wir lesen, dass viele Letten sich einem hohem Armutsrisiko und mangelnden beruflichen Perspektiven ausgesetzt sehen. Emigration wird zur Protestform der Erwerbsbevölkerung. Die Bevölkerungszahl sei vor diesem Hintergrund von 2,6 auf 2 Millionen gesunken. Neben der lettischen Mehrheitsbevölkerung (62%) gibt es eine starke russische Minderheit (27%).

Liepaja (Libau) - Ventspils (Windau)

Donnerstag 9. Juni. Wie legen kurz vor 10:00 ab und wollen gemütlich 29 sm nach Pavilosta (Paulshafen) segeln. Draußen steht eine recht hohe Welle an, mit Gemütlichkeit wird das nichts. Segeln geht nur kurze Zeit, dann dreht der Wind und wir müssen motoren. Kurz vor Pavilosta schaut sich Eva intuitiv die Wettervorhersage auf dem Smartphone an. Morgen Regen, übermorgen Sturm. Wir beschließen, bis Ventspils (Windau) durchzufahren. Mehrere Tage in einem kleinen Fischerhafen verbringen, das wollen wir nicht. ETA Ventspils 22:00 und tatsächlich, kurz vor Sonnenuntergang legen wir nach über 12 Stunden Fahrt in der Marina mit Heckboje an. Am Steg nehmen Matthias & Anke von der "Land in Sicht" unsere Leinen entgegen. Wir freuen uns über das Wiedersehen und sind zufrieden mit unserer Entscheidung, heute bis hierher gefahren zu sein. Und obwohl es schon spät ist bereitet man uns am Imbiss der Marina noch ein warmes Abendessen.
Am Sonntag gehen wir mit Anke in die Stadt. Auffallend sind die gut gepflegten Parkanlagen. Anke erzählt, dass in Lettland für Sozialhilfe gemeinnützige Arbeit geleistet werden muss. Im Zentrum schauen wir kurz in die evangelische Nikolauskirche mit ihren an griechische Tempel erinnernden Säulen. Zum sonntäglichen Gottesdienst sind nur wenige Leute erschienen. Weiter geht es zum Marktplatz mit seinem Glockenspiel und über die Hafenpromenade zur Burg des Livländischen Ordens von 1290. Der Name Ventspils bedeutet Burg am Fluss Venta. Als Machtsymbol stand die Ordensburg im Besitz verschiedener Eroberer von Kurland. Heute beherbergt sie ein Museum. Im Burghof findet ein mittelalterliches Kostümfest statt, mit Handwerk, Tanz, Musik und Bogenschießen.

Ventspils (Windau) - Roja

Montag 13. Juni. Ein langer Segeltag liegt vor uns und so starten wir zusammen mit der SY "Land in Sicht" 06:00 Uhr. Wir segeln bis zum Lyster Ort und fahren in die Irbenstraße, der Meerenge zwischen Saaremaa (Ösel) und Kurland. Die Land in Sicht geht nördlich nach Kuressare, wir segeln zum Kap Kolka (Domesnäs). Während das Vorsegel uns langsam durch die Irbenstraße zieht, bereiten wir uns Pasta mit einem würzigen Sugo. Dazu ein kühler Chardonnay, einfach göttlich. Nach dem Kap sind es noch 20 sm in der Rigaer Bucht nach Roja. Wir kommen kurz nach 21:00 an. Der kleine Hafen ist voll belegt. Skipper Jörg von der SY "Santana" ist hilfsbereit und lässt uns bei ihm längsseits anlegen. Wir klönen noch bis Mitternacht mit Jörg, seiner Frau Heike, der man vorgestern in Riga die Geldbörse gestohlen hat, und einem Hamburger Einhandsegler.

Roja - Riga

Dienstag 14. Juni. Geplant war ein kurzer Schlag nach Mersrags (Markgrafen), so starten wir erst nach 10:00 Uhr. Der Wind steht entgegen der Vorhersage ungünstig, wir müssen kreuzen, also segeln wir erst ein Stündchen Richtung Ruhnu. Nach der Wende geht es zum Kap Mersrags. Wir checken noch einmal die Wettervorhersage. Morgen wird Regen und Starkwind und Freitag/Samstag Sturm angekündigt. Wir entschließen uns zu Plan B, dass weiter südlich liegende Engure anzulaufen. Nach dem Kap dreht der Wind in eine für uns günstige Richtung. Wir könnten mit Amwindkurs bei konstanten 15 kn Wind Riga anlaufen. Also Plan C: Riga. Ankunft, wenn alles gut läuft, gegen 22:00 Uhr - machbar. Nach 20:00 erreichen wir die Hafeneinfahrt. Dann geht es noch 7,5 sm den Fluß Daugava (Düna) hinauf in die Altstadt zur Marina Andrejosta. Die Fahrt geht durch triste Hafenanlagen, einige Großschiffe sind unterwegs. Kurz nach 22:00 Uhr legen wir an. Anlegerbier und Abendessen in der Grillbar "Ticket to Haven" in der ersten Reihe der Terrasse mit herrlichem Blick über das Wasser. Wieder viel Glück gehabt. Nach den zwei anstrengenden Segeltagen wollen wir morgen richtig lange ausschlafen.



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