"An Land hält man sich stets für wichtiger, als man es tatsächlich ist. Man versucht, Spuren zu hinterlassen, im Bewußtsein anderer und vor dem, was man für die Ewigkeit hält. Auf See sieht man ein, wie sinnlos das ist. Wenn ein Schiff vorübergezogen ist und das Kielwasser sich wieder beruhigt hat, ist alles so wie zuvor."

Björn Larsson
"Der Keltische Ring"




















































































































































Transatlantik

Es gibt Anlässe im Leben für Besonderes. Im Herbst 2012 scheidet Eva aus dem aktiven Arbeitsleben aus. Vor etwa einem Jahr erhielt sie im Büro eine Mail: Bernd lädt zur "early retirement voyage" ein, einer Schiffsreise von Hamburg nach New York. Die Tourenbeschreibung mit Zwischenstopps in Schottland, Island, Grönland, Neufundland und Neuschottland liest sich phantastisch. Wir werden gemeinsam unsere erste große Kreuzfahrt über den Atlantik erleben auf der AIDAluna, einem 252m langen, 2008 auf der Meyer Werft in Papenburg gebauten Schiff mit einer Tonnage von 70.000 GT.

Hamburg

Am 1. September 2012 ist es endlich soweit. Wegen eines Streiks der Flugbegleiter in Frankfurt werden wir am Vortag der Reise gebeten, den Flug zu stornieren und mit der Bahn nach Hamburg zu fahren. Wir kommen mittags in Hamburg Hbf an und fahren mit dem Shuttlebus zum Kreuzfahrtterminal HafenCity inmitten der Großbaustelle der Elbphilharmonie. Die AIDA liegt am Kai, sie wirkt auf den ersten Blick nicht besonders groß. Am Eingang des Terminals werden wir mit dem Ziel unserer Reise konfrontiert. Eine junge Frau, als Freiheitsstatue verkleidet, lächelt mit uns für ein Begrüßungsfoto. Beim Check-in erhalten wir unsere Bordkarten, die sowohl der Schlüssel zur Kabine als auch Zahlungskarten an Bord sind. Die Kabine ist zweckmäßig eingerichtet und geräumig. Sie strahlt in mediterranen Farben gelb, orange, braun. Der Balkon ist ausreichend groß für zwei Stühle und einen niedrigen Balkontisch, auf dem ein Aschenbecher steht. Wir werden uns hier wohl fühlen und beginnen, das Schiff zu erkunden. Wir wohnen auf Deck 8, die öffentlichen Einrichtungen verteilen sich über die Decks 9 bis 12. Dazu gehören vier Buffet Restaurants, weitere kostenpflichtige Restaurants, zahlreiche Bars, die Poollandschaft, eine Sauna und Wellnessoase, Fitnessbereiche, ein Ballspielplatz, Theater, Bibliothek, ein Casino - mal sehn was wir noch entdecken. Am späten Nachmittag muss die Seenotrettungsübung durchgeführt werden. Wir gehen mit angelegter Rettungsweste zum Sammelpunkt, dabei werden die Ankömmlinge auf Listen abgehakt. Es folgt noch eine kurze Unterweisung über die Signaltöne im Notfall und wir können zurück in die Kabinen. Zum Abendessen gehen wir ins Weite Welt Restaurant. Das Angebot an Obst, Vor- Haupt- und Nachspeisen ist riesig, der Tischwein mundet. Das Platzangebot ist ausreichend für die etwa 2.000 Reisenden, es gibt kaum Warten, Drängeln oder Anstehen, das finden wir erstaunlich. Die meist asiatischen Servicekräfte sind aufmunternd freundlich, immer lächelnd und flink bei der Arbeit.


Nordsee

Pünktlich 20:30 Uhr heißt es Leinen los! Im Abendlicht des Vollmonds gleitet die AIDAluna elbabwärts Richtung Nordsee. Auf dem Pooldeck beginnt die Sail Away Party mit Begrüßungssekt und Disco bis Mitternacht. Zahlreiche Hamburger verabschieden uns winkend am Elbufer, wir sehen vereinzelt kleine Lagerfeuer und ein Plakat wünscht "Gute Reise nach NY". Es gibt sogar ein kleines Feuerwerk für uns. An Deck wird es langsam kalt. Die Elbe wird immer breiter und wir fahren in die Nordsee ein. Die über das gesamte Schiff schallende, laute Disco Musik nervt. Der Mond erleuchtet die Nacht. Wir sehen eine Sternschnuppe. Von Zeit zu Zeit tauchen hell erleuchtete Bohrinseln im Wasser auf. Bis tief in die Nacht sind wir draußen. Am Morgen geht der erste Blick vom Balkon auf die Nordsee. Wir haben ein Drittel der Strecke zurückgelegt. Um uns herum ist 360° Meer bis zum Horizont. Es zeigt sich unverändert ruhig im Grau des wolkenverhangenen Himmels. Wir beginnen unseren ersten Seetag mit dem Frühstück. Wie am Abend zuvor lässt auch das Frühstücksbuffet fast keine Wünsche offen, nur der Kaffee schmeckt nicht. Wir werden viel Disziplin brauchen, um am Ende der Reise nicht kugelrund vom Schiff zu rollen. Nach dem Frühstück beschäftigen wir uns mit dem Informationsmaterial über das Leben an Bord. AIDA preist ein Edutainment Programm an. Die Trainer stellen sich am ersten Seetag in Workshops vor und präsentieren ihre kostenpflichtigen Seminare. Dabei sind eine Astrologin und ein Mentaltrainer, die in überschwänglich selbstinszenierender Form Binsen-weisheiten von sich geben und damit scheinbar regen Anklang finden. Ein professioneller Coach kritisiert den Herrn mit dem Satz: "Erfolg beginnt zwischen den Ohren". Das trifft aus unserer Sicht als fehlender Ansatz in den Veranstaltungen der beiden genau zu. Richtig enttäuscht war ich (Eva) aber erst vom Workshop "Kreatives Filmen und Fotografieren". Ich habe mich auf Tipps vom Profi gefreut, die kamen aber nicht. Es kam eine Aufzählung von möglichen Fehlern und der Satz: Wie man das richtig macht verrate ich in meinem kostenpflichtigen Seminar. Das war kein Workshop sondern eine reine Verkaufsveranstaltung. Auch die permanente Werbung für Ausflüge, kostenpflichtige Restaurant Events, Barbesuche, Bordverkauf, Wellness-angebote etc. erinnert an die sogenannten Butterfahrten. Einzig die Vorträge des Lektors Gerrit Aust heben sich davon ab und sind Höhepunkte der Reise für uns. Mit sachlich fundiertem Wissen über Geschichte, Kultur und Sehenswertes wird das anstehende Reiseziel unterhaltsam und lebendig vorgestellt. Mittags gibt der 1. Offizier nautische Informationen bekannt, Wir fahren mit abnehmender Windstärke 2 bis 3 und wenig Seegang. Es wird warm und die Sonne zeigt sich. Den Nachmittag verbringen wir auf den Sonnenliegen mit einem guten Buch auf dem Pooldeck. Immer wieder geht der Blick aufs Wasser. Wir sehen Delphine- aber eine Frau aus dem Norden meint, das seien Schweinswale. Sie wohnt am Wattenmeer und kann die Tiere zu Hause am Strand auch beobachten. Beim Abendessen draußen am Heck bedient uns Ronnie aus Manila. Er versorgt uns den Abend lang mit süffigem, roten Tischwein.

Invergordon

Am nächsten Morgen liegt die AIDA im Hafen von Invergordon. Der Kopf schmerzt etwas, wir lassen uns Zeit. Vor einigen Jahren hatten wir Schottland auf eigene Faust mit dem Auto erkundet, deshalb verzichten wir hier auf einen organisierten Ausflug. Nach dem Mittagessen gehen wir an Land und bummeln durch die kleine Stadt. Der Himmel hat sich zugezogen und der Wind frischt auf. Nachmittags sind wir zurück auf dem Schiff. Zur Unterhaltung singt und tanzt eine schottische Folkloregruppe. Danach macht der Kapitän eine Ansage. Sturmtief Kirk wütet auf dem Nordatlantik, die Vorhersagekarte zeigt für den kommenden Tag Windstärke 9 und 10 Meter hohe Wellen auf unserem geplanten Seeweg an. Der Kapitän möchte uns diese Erfahrung ersparen und hat entschieden, noch eine Nacht im Hafen zu bleiben. Bedingt durch die Verzögerung können wir Island leider nicht anlaufen. Wir werden stattdessen mit direktem Kurs nach Grönland fahren. Der Kapitän erhält höflichen Applaus für seine Entscheidung aber trotz allem Verständnis für die Situation bedauern wir sehr, dass wir Island auf dieser Reise nicht erleben werden. Auch der Lektor ändert das Thema seines Vortrags und wir hören etwas über die Entstehungsgeschichte der Kreuzfahrt.

Vorläufer der Kreuzfahrt war die Passagier-Dampfschifffahrt über den Atlantik. Reisende waren überwiegend Auswanderer, die ihre Heimat verließen, um in Amerika ihr Glück zu suchen. Mitte des 19. Jahrhunderts dauerte eine solche Überfahrt 110 Tage. Da in den Wintermonaten Fahrten über den Atlantik gefährlich und ungemütlich waren, blieben die Schiffe in der kalten Jahreszeit ungenutzt im Hafen liegen. Im Jahr 1891 kam der Direktor der Hapag ("Hamburg-Amerikanische Packetfahrt-Aktien-Gesellschaft"), Albert Ballin, auf die Idee, im großen Stil Vergnügungsschiffsreisen anzubieten. Am 22. Januar 1891 begibt sich in Cuxhaven eine erlesene Gesellschaft an Bord der "Augusta Victoria". Die 240 betuchten Passagiere wollen eine Vergnügungsreise zur See erleben. Man kreuzt zwei Monate im Mittelmeer und zurück nach Cuxhaven. Die Fotos der "Augusta Victoria" zeugen vom Luxus an Bord. Die Lustfahrten zur See erlebten einen Aufschwung, der bis zum Kriegsbeginn anhielt. Nach dem Krieg wurden Kreuzfahrten wieder angeboten und bis heute zählen Sie zu außergewöhnlichen und beliebten Abenteuerreisen. Wir hören, dass es noch heute englische Kreuzfahrtschiffe gibt, auf denen die Decks und Salons der ersten Klasse für andere Klassen nicht zugänglich sind. Auf der "Queen Elisabeth II" gibt es sogar einen freien Decksabschnitt für Hunde- ausgestattet mit einem original englischen Hydranten und einer Laterne für Bello's Bedürfnisse.

Am folgenden Tag bleiben wir wetterbedingt vorerst weiter im Hafen. Der Wind hat die Wolkendecke auseinandergerissen und das Wasser aufgepeitscht. Bei Windstärke 5-6 treiben selbst in der Bucht Schaumkronen auf den Wellen. Wir verzichten auf einen weiteren Stadtbummel und bleiben an Bord. Bei Ebbe beobachten wir Auster-Catcher, die mit ihren langen roten Schnäbeln den Uferschlamm durchsuchen. Bei Flut schaut ein Seehund immer wieder neugierig aus dem Wasser. Zeitweise zeigt sich die Sonne. Nach Mittagessen und Kaffeetrinken meldet sich wieder der Kapitän. Er spricht von Wetterbesserung auf unserem neuen Kurs. Deshalb beschließt er, mit einsetzender Ebbe am Abend abzulegen. Es ist auch gelungen, den Eislotsen für den Prins Christian Sund an Bord zu befördern. Der sollte ursprünglich in Reykjavik zusteigen und musste nun schnell eingeflogen werden. Wir sind froh, dass es endlich weitergeht. Für das Abendessen haben wir für Bernds Geburtstagdinner einen Tisch zum 11-Gang Menü im Gourmet Restaurant Rossini bestellt. Wir wählen einen trockenen Rheingau Riesling zum Menü. Die Karte zeigt eine poetisch benannte Speisenfolge. Unser Spitzenreiter in kreativer Benennung ist das Hauptgericht: Duett von der Wachtel mit Polenta und Erbse. Jeder Gang ist so bemessen, dass auch nach dem Genuss des gesamten Menüs kein Völlegefühl entstehen kann. Nach etwa zwei Stunden ist das Abendmahl beendet, rechtzeitig um in der Abenddämmerung beim Ablegemanöver zuzuschauen. Die AIDA muss den Bug um 180° drehen, um auf Kurs zu gehen. Dafür benötigen wir bei dem aktuell stürmischen Seitenwind zwei Schlepper, die verhindern sollen, dass das Schiff zurück an die Pier gedrückt wird.




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