"Des Wandern Lust ist, daß man die Zwecklosigkeit genießt. Genüge im eigenen Selbst zu finden, das ist des Wanderns höchste Stufe."
Lieh tse (440 - 370 BC)




"Wandern gibt mehr Verstand als hinterm Ofen sitzen."
Paracelsus (1493 - 1541)

Via Regia

Wir laufen gerne und wir haben Fernwanderwege quasi "vor der Haustür". Zwei davon verbinden die Bischofsstädte Fulda und Mainz. Auf der Bonifatiusroute läuft man nördlich an Frankfurt vorbei. Wir entscheiden uns, den südlicheren Jakobsweg von Fulda nach Frankfurt zu gehen. Wir wollen in der Großstadt die Wegezeichen der Jakobspilger finden. Auf diesem Abschnitt ist der Jakobsweg Teil der Via Regia. Via Regia bedeutet Königsstraße oder Königsweg. Die Bezeichnung stand für alle Straßen die rechtlich dem König zugeordnet waren und unter besonderem Friedensschutz standen. Die bekannteste Via Regia verlief einst vom Rhein über Frankfurt am Main, Fulda, Eisenach, Naumburg, Leipzig, Bautzen, Görlitz nach Breslau in Schlesien. Für diese bestimmte Straße wurde im Laufe der Zeit die Straßenart zum Eigennamen.


Am 02. Mai 2013 werden die Rucksäcke gepackt und die Wanderschuhe angezogen. Mittags fahren wir mit Nahverkehrzügen nach Fulda. Am Bahnhof erinnert sich Bernd daran, dass wir vor 24 Jahren hier erstmals westlichen Boden betraten. Wir sind damals in den Zug nach Gießen umgestiegen. Vom Bahnhof laufen wir zum Alten Rathaus und erfreuen uns am Charme der einstigen Universitätsstadt. Durch die Altstadt mit den schönen Fachwerkhäusern laufen wir zum Stadtschloss. An der Orangerie vorbeigehend gelangen wir zum Domplatz. Während wir den Dom besichtigen spielt ein Organist eine Bach Fuge. Die plastischen Bilder des Kreuzweges, der Hochaltar und die Bonifatiuskapelle beeindruckten uns sehr. In unmittelbarer Nachbarschaft des Doms besuchen wir noch die kleine Michaeliskirche. Hier erhalten wir auch unseren ersten Pilgerstempel. Durch das Barockviertel laufen wir zum Fluß. Die Fulda ist hier noch schmal und nicht sehr tief, eingebettet in einem grünen Park. Es ist Abend geworden. Im Brauhaus Wiesenmühle gibt es das beste Maibock.

Fulda - Neuhof - Flieden

Wir verlassen Fulda und laufen südwestlich aus der Stadt heraus auf einem Feldweg Richtung Johannesberg. Der vertraute Wegweiser mit der Jakobsmuschel weist uns den Weg in den Ort. Wir laufen ein paar Meter bergan zur ehemaligen Klosteranlage, der Probstei Johannesberg. Die barocke Anlage ist sehr gut erhalten und dient heute als Ausbildungsstätte für Kunsthandwerk und Denkmalpflege. Hinter Hamerz geht es auf angenehm zu laufenden Feld- und Waldwegen Richtung Neuhof. Weithin sichtbar steht der Kaliberg in der ebenen Landschaft, das graue Pendant zum Ayers Rock. In Neuhof am Rathaus befindet sich der Schützenhof, wo wir uns an einem gut bestellten Mittagsbuffet bedienen. An unserem Gepäck sind wir als Wanderer zu erkennen. Die freundliche Wirtin fragt nach unserem Tagesziel und organisiert per Telefon eine Übernachtung für uns. Am Nachmittag laufen wir auf Feldwegen, die parallel zur A66 verlaufen, nach Flieden, dem Hauptort einer kleinen Gemeinde. Auf der Grundlage von Legenden trägt Flieden den Beinamen Königreich. Der amtierende König wurde 2006 gewählt, er hat ähnliche Pflichten und Privilegien wie die bekannteren Weinköniginnen. Wir übernachten im familiär geführten Gasthaus Zum Ochsen. Am Abend im Gastraum ist der Service überfordert mit zwei Gesellschaften. Wir müssen uns gedulden, um mit Speise und Trank bedient zu werden. Dabei verfolgen wir das Programm eines Zauberes, der die Gäste einer Goldenen Hochzeit als Alleinunterhalter mit gängigen Tricks ohne Verblüffung mühsam unterhält. (Tagesstrecke: 20 km, Gesamtstrecke: 20 km)

Flieden - Schlüchtern - Steinau

Auf Radweg und Landstraße führt unser Weg von Flieden nach Rückers. Das 2000 Seelendorf liegt idyllisch am Hang eines Höhenzuges, der Rhön und Vogelsberg verbindet. Der Jakobsweg führt von Rückers hinauf auf die Steinkammer, ein Naherholungs- und Quellgebiet im Naturpark Hessische Rhön". Weiter geht man auf einem Höhenweg am Wald entlang. Immer wieder bieten sich weite Ausblicke in die Landschaft. Es ist Mai, die Rapsfelder blühen in strahlendem Gelb und die Wiesen präsentieren sich in üppigem Grün, dazwischen blühende Obstbäume. Natur kann so schön sein. Das Wetter schlägt um, und dichte graue Wolken ziehen auf. Als wir mittags in Schlüchtern in einer Pizzeria rasten regnet es kräftig. Nach dem Regen bleibt noch Zeit, gemütlich in die Märchenstadt Steinau zu laufen. Kurz vor der Stadt treffen wir einen Wanderer, der vom Mittelmeer kommt und nach Hamburg weiterlaufen will. Er ist mit Zelt unterwegs und läuft etwa 30 km am Tag. Nach einem Smalltalk verabschieden wir uns und gehen in die Stadt. Hinter der alten Stadtmauer zeigt sich ein netter Ort mit Fachwerkbauten, die Fassaden sind teils mit Motiven der Grimmschen Märchen bemalt, auch Schaufenster sind mit Märchenfiguren und Szenen gestaltet. Die Hauptstrasse führt zum Renaissance-Schloss, das ziemlich verfallen wirkt. Bei der Zimmersuche hatten wir ungeahntes Glück. Obwohl die Stadt sehenswert ist gibt es aktuell keine Hotels. Wir erfahren von einer Verkäuferin, dass Zimmer nur im Landgasthof Grüner Baum verfügbar sind. Wir haben angerufen und bekamen das einzige freie Zimmer im Ort. (Tagesstrecke: 23 km, Gesamtstrecke: 43 km)

Bad Soden-Salmünster - Wächtersbach - Wirtheim - Gelnhausen

Zu Beginn des Tages laufen wir über Niederzell auf Feldwegen entlang der Kinzig vorbei am Kinzigstausee nach Bad Soden. Der Weg führt über den kleinen kirchlichen Friedhof zur katholischen Kirche St. Laurentius. Es ist Mittagsandacht und ein Mädchen am Rednerpult liest mit aufgeregter Stimme eine Geschichte vor der Gemeinde. Die Sonne scheint sommerwarm und wir erfrischen uns mit einer Apfelsaftschorle. Wir laufen durch den Kurort und Kurpark und weiter auf dem Radweg entlang der Kinzig über Neudorf nach Wächtersbach. Es ist Sonntagnachmittag, viele Menschen genießen das herrliche Wetter im Freien. Wir laufen weiter auf dem Radweg, der jetzt parallel zur A66 verläuft, nach Wirtheim. Der Krach der Autobahn stört. In der Kleinstadt Wirtheim gibt es keine Übernachtung für uns. Und weil wir nach 23 gelaufenen km etwas erschöpft sind nehmen wir den Bus für 5 km nach Gelnhausen. Die alte Barbarossastadt wurde 2007 als geografische Mittelpunkt der Europäischen Union festgestellt und hellt unsere Laune sofort auf. Wir laufen durch die hübschen Gassen zum Untermarkt. An einem blau-weißen Fachwerkhaus findet Bernd einen Spruch, der ihm gut gefällt: Arbeite und strebe, oder lebe. Auch mir gefällt der Spruch, allerdings lese ich: Arbeite und strebe, aber liebe. Und wies wirklich heißt sieht man auf dem Foto. Und weil die Welt so klein ist treffen wir Anett und ihren Mann, die ihre jüngste Tochter zu einem Konzert begleiten. Wir haben uns lange nicht gesehen und freuen uns über das zufällige Treffen. Im Grimmelshausen Hotel in der Altstadt finden wir ein modernes Zimmer und im Restaurant Zum Löwen lassen wir im Garten bei sehr gutem Essen und mit viel Lachen den Tag ausklingen. (gelaufene Tagesstrecke: 23 km, Gesamtstrecke: 66 km)

Gelnhausen - Niedergründau / Gründau Rothenbergen - Niedermittlau

Am Morgen besichtigen wir die Marienkirche, das Wahrzeichen der Stadt. Hinter der Stadt geht es bergan in den Gelnhauser Stadtwald. Wir gehen auf lichten Waldwegen nördlich an der lang gezogenen Stadt vorbei. Erinnerung kommt auf an unsere Wanderungen in der Sächsischen Schweiz. Aus der Höhe können wir im Tal die Stadtteile Roth und Lieblos ausmachen. Dann führt der Weg durch Getreide- und Raps- felder nach Niedergründau. Wieder strahlt die Sonne und wir wollen rasten. Leider finden wir keine Möglichkeit dazu. Es gibt hier weder Gastronomie noch die Möglichkeit einzukaufen, deshalb verlassen wir unseren Weg und laufen bergab nach Rothenbergen. In einer Pizzeria überbrücken wir die Nachmittagshitze und weil Eva wieder Probleme mit den Füßen bekommen hat entscheiden wir uns, die Tour zu unterbrechen und einen Ruhetag einzulegen. Wir laufen nach Niedermittlau zum Zug und sind am Abend zu Hause in Heusenstamm. (gelaufene Tagesstrecke: 21 km, Gesamtstrecke: 87 km)

Bruchköbel - Mittelbuchen - Wachenbuchen - Bergen-Enkheim - Frankfurt

Der Ruhetag hat alle Weh-Wehchen vertrieben. Wir starten unsere letzte Etappe morgens 9 Uhr in Bruchköbel. Auf dem Radweg entlang der Landstrasse laufen wir nach Mittelbuchen und weiter durch leuchtend gelbe Rapsfelder nach Wachenbuchen. Von hier aus gehen wir auf der Hohen Straße Richtung Frankfurt. Zur Rast einladend steht am Weg eine rote Couch. Sie erinnert uns an unsere Wanderung auf der Via Baltica und die Ausstellung von Horst Wackerbarth. Die Hohe Straße führt weiter über den Hühnerberg, einer 197 m hohen Erhebung auf der Gemarkung Wachenbuchen. Über uns fliegen Störche. Wir laufen durch die Kleine Loh und haben am Ende des Waldweges auf der Anhöhe einen phantastischen Rundblick. Am Horizont im Osten präsentiert sich die Frankfurter Skyline. Ein paar Meter weiter an der Großen Loh wurden am Waldrand hölzerne Stelen aufgestellt, die den Blick in den Taunus und ins Maintal lenken. Etwa 8 km trennen uns noch vom Frankfurter Stadtteil Bergen Enkheim. Wir brauchen etwa zwei Stunden für den Weg. Dann gönnen wir uns eine Mittagspause auf der Terrasse des Hotels Schöne Aussicht. Der Name ist Programm, wieder bietet sich uns ein herrlicher Blick über Frankfurt, Offenbach und das Maintal. Die Wege zur Innenstadt sind reine Erholungswege. Wir laufen durch Kleingartenanlagen bis zum Ostpark. Zahlreiche Graugänse haben sich hier zur Aufzucht ihrer wenige Tage alten Kücken niedergelassen. An dieser Stelle beenden wir unsere Fernwanderung. Wir gehen zur S-Bahn Ostendstraße und fahren bequem nach Hause. (gelaufene Tagesstrecke: 25 km, Gesamtstrecke: 112 km)

Fazit

Die Mühe der Wanderung hat sich für uns gelohnt. In Fulda und Gelnhausen überraschte uns das einladende Flair der Altstädte und die prächtigen Gotteshäuser beeindruckten. Auch die kleineren Ortschaften bieten reizvolle Stadtbilder mit gut erhaltener Altbausubstanz. Ob die zahlreichen geschlossenen Gasthäuser und verkümmerte Infrastruktur der Innenstädte schon auf einen allgemeinen Niedergang der Kleinstädte schließen lassen können wir nicht abschätzen. Der Jakobsweg ist über viele Kilometer auf asphaltierten Radwegen angelegt und läßt sich auch sehr gut mit dem Fahrrad bewältigen. Wer das Rad wählt, sollte sich aber nicht scheuen, dem Wegezeichen mit der Jakobsmuschel auch auf Anhöhen zu folgen. Die Höhenwege haben großen Anteil am Erlebniswert der Tour. Das Frühjahr bietet reichlich gute Luft in reizvolle Natur und Farbenpracht.