"Alles ist aus dem Wasser entsprungen!!
Alles wird durch das Wasser erhalten!
Ozean, gönn uns dein ewiges Walten.
...
Du bist’s, der das frischeste Leben erhält."

(Goethe, Faust II)

Jakobsmuschelfest

An der rauhen Atlantikküste in der Bretagne leben die Menschen seit jeher vom Meer. Um den Kabeljau zu fangen segelten die Kelten einst über den Ozean bis nach Neufundland. Heute rühmt man den Landstrich für die Qualität der Meeresfrüchte, allen voran die bretonischen Austern und die Königin der Muscheln, die Jakobsmuschel, das Juwel der Bucht von Saint-Brieuc im Norden der Bretagne. Zwei bis drei Jahre muss eine Jakobsmuschel wachsen, bis sie die vorgeschriebene Fanggröße erreicht hat. Jakobsmuscheln leben auf sandigem Untergrund und ernähren sich ausschließlich von Plankton. Jedes Jahr zum Ende der Fangsaison im April feiern bis zu 70.000 Besucher das Jakobsmuschelfest (frz. Fête de la Coquille Saint-Jacques, engl. Festival Of Scallops). Das Fest findet abwechselnd in einem der drei Fischereihäfen Erquy, Saint Quay Portrieux oder Loguivy de la Mer statt. 2013 war Loguivy de la Mer an der Reihe.


Gemeinsam mit unseren Freunden Angelika und Dieter wollen wir dieses Jahr dabei sein und fahren mit dem Auto am 26. April 2013 nach Paimpol. Wir starten sehr früh und passieren bei Tagesanbruch die Grenze zu Frankreich. Von nun an geht es auf sehr guten, fast freien Autobahnen total entspannt bis nach Paris. Unsere Routenbeschreibung ist leider im Kofferraum verstaut, also verlassen wir uns auf unser Navi, das uns hier im Gedränge der Autolawine zunächst bis ans Zentrum leitet um dann die nördliche Route aus der Stadt an die Küste zu fahren. Hinter Paris geht es entspannt weiter, aber der Weg zieht sich. Wir erreichen die kleine Hafenstadt Paimpol am Nachmittag und sind sogleich gefangen vom einladenden Flair des Ortes. Unser Hotel K'Loys liegt direkt gegenüber des Yachthafens, in der Nachmittagssonne spiegeln sich die Boote im Wasser, die Menschen sitzen vor den Restaurants im Freien und genießen die Stunde. Im Hotel werden wir freundlich empfangen, der Gastgeber spricht englisch und gibt Empfehlungen für den Abend und das Fest. Wir beziehen unsere Zimmer und treffen uns wieder zu einem ersten Rundgang durch die bezaubernde Stadt. Backsteinhäuser mit schwarzen Basaltdächern bilden ganze Häuserzeilen entlang schmaler Straßen. Kleine Geschäfte, Patisserien und Restaurants laden zum Bummeln ein. Wir beschließen den Tag im gut besuchten Restaurant unseres Hotels. Auf kleinstem Raum finden die Gäste Platz. Unser Gastwirt übersetzt für uns die Speisekarte und wir genießen unser Menü.


Am nächsten Morgen gehen wir in eine Bäckerei zum Frühstück, zum Kaffee gibt es frische Croissants und andere süße Leckereien. Es ist kalt an diesem Samstagvormittag aber wenigstens scheint die Sonne. In der Touristeninformation erfahren wir vom kostenlosen Shuttelbus nach Loguivy-de-la-mer. Wir laufen am Hafen über einen kleinen Flohmarkt. Eine Malerin verkauft ihre bemerkenswerten Kunstwerke, Ölmalerei auf Treibholz mit Motiven aus dem Fischerdasein. Dann fahren wir mit dem Bus kurze Zeit an der Küste entlang und laufen zum Festplatz rund um den natürlichen Hafen. Auf einem großen Platz sind zwei lange Zelte aufgebaut, dahinter eine Bühne für Musikgruppen. Eine Fokloregruppe spielt und tanzt zur Freude der Zuschauer. Die bretonische Musik ist ausgesprochen lebendig, für uns klingt es ähnlich der irischen Folklore. Es ist Ebbe, die Boote liegen auf Sand. Am Hafen sind Verkaufsstände in einer Zeltreihe aufgebaut, neben den fangfrischen Jakobsmuscheln werden auch andere regionaltypische Produkte wie Meersalz, Salami und Käse oder Wein verkauft. Dieter und Bernd lassen sich die frischen Austern schmecken. Wir bummeln an den Ständen entlang auf der Suche nach einer Möglichkeit, die Jakobsmuschel zu probieren. Unsere Suche bleibt vergeblich und wir gehen zurück. Da bemerken wir lange Menschenschlangen an den Zelteingängen. Hier also kann man nach stundenlangem Anstehen am Spieß gegrillte Jakobsmuscheln essen. Wegen der Kälte verschieben wir dieses Vergnügen auf den nächsten Tag.


Mittags sind wir wieder auf dem Festgelände, noch hält sich der Andrang an den Festzelten in Grenzen. Bernd organisiert eine Flasche Wein und dann sitzen wir auf den Bänken einer Bierzeltgarnitur vor unserem Pappteller, auf dem ein Spieß Jakobsmuscheln und eine Schale Pommes frites angerichtet ist. Wir denken an das Ambiente vom Rheingau Gourmet Festival, wo die Muschel mit feinstem Sößchen zur Vorspeise serviert wurde. Bei uns würde niemand diese kleine Kostbarkeit zu profanen Pommes reichen. Aber hier darf man nicht vergessen, dass die Jakobsmuschel einst eine Speise einfacher Leute war. Die Einheimischen essen sie am liebsten, kurz in Butter gebraten, mit Salz und Crème fraîche abgeschmeckt und der Geschmack der Frische ist einfach hervorragend. Wir spazieren wieder am Ufer entlang und beobachten Fischerboote, die frisch geerntete Austernnetze ausladen. Eine Fähre legt an und wir nutzen die Gelegenheit zu einem kurzen Ausflug aufs Wasser. Der Tag vergeht wie im Flug. Auf dem Heimweg sammeln wir noch ein paar Muschelschalen als Andenken für zu Hause.


Am Abend gehen wir ins Fischrestaurant l' écluse am Hafen von Paimpol. Hier sitzt man bequem, den Blick auf die Yachten im Hafen gerichtet. Der Kellner fragt in Landessprache nach unserem Begehr. Dieter bittet hilfesuchend lächelnd um englische Konversation. Wir sind alle verblüfft über die Reaktion des Kellners: I speak english as you speak french, damit verläßt er uns ohne weitere Beachtung. Kurz darauf kommt eine junge Frau als Servicekraft an unseren Tisch, hilft in Englisch freundlich bei unserer Bestellung und wir verleben wieder einen schönen Abend. Am nächsten Morgen heißt es Abschied nehmen.


Die Fahrt hat sich gelohnt, Leben wie Gott in Frankreich - hier versteht man zu genießen.